Der Sommer 1882 rief mich nun wieder
nach Bayreuth und zwar schon früh, um allen Proben zu Parsifal beizuwohnen, der
zum ersten Mal aufgeführt werden sollte. Als ich einige Jahre früher, im Sommer
78, zu Besuch bei Wagners war, kam der Meister eines Tags aus seinem
Arbeitszimmer oben im Haus zu uns herunter und sagte: „So, nun habe ich meinen
zweiten Akt fertig gemacht. Das ist mir schwer geworden, so etwas schreib ich
nicht wieder.“ Dann hörte ich Liszt aus dem ersten Akt spielen und drei Jahre
später in Neapel, wie erwähnt, die erste Gralsscene singen. Nun war das Werk
vollendet und zur Aufführung bereitet und um nichts in der Welt hätte ich
versäumen mögen, dieser ersten Aufführung beizuwohnen. Schon im Jahr vorher in
Neapel hatte mich Joukoffski, der ein Haus in der Nähe von de Hause Wagners
gemietet hatte, aufgefordert, mich in dem Parterre, welches er nicht benutzte,
einzumieten, und ich war gern darauf eingegangen, da ausser mir nur noch Stein
im Hause wohnte, und dies mir also ein sehr sympathisches Trio wurde, welches
die Stimmung zuliess, wie sie zur Anhörung des erhabenen Kunstwerks einzig sein
musste. Wie sich nun in den Proben nach und nach diese Wunderwelt der Töne vor
mir auftat, steigerte sich von Tag zu Tag meine Ergriffenheit. In der Generalprobe,
wo nur wenige Eingeweihte zugelassen waren, sass ich neben Liszt, welcher die
Partitur vor sich hatte; plötzlich in Ekstase ergriff er meinen Arm und sagte
ganz ausser sich: „Ce n’est pas à croire à ses oreillies!“ Seine älteste
Enkelin, die feurige Daniela von Bülow, die auf der anderen Seite neben mir
sass, sagte, als das Liebesmahl im Gralstempel zu Ende war und die 3 Ritter
sich den Bruderkuss gaben: „Ich wollte, ich hätte einen Todfeind, um ihm in
diesem Moment zu vergeben.“ Da waren alles Zeugnisse der Wirkung, die von
diesem Werke ausging und die sich durch das Anhören sämtlicher Aufführungen
nicht abschwächte, sondern eher noch wuchs.
[…]
Auszug aus Malwida von Meysenbug,
Lebensabend einer Idealistin, März 1898, Verlag Schuster und Löffler
Berlin und Leipzig 1903, Seite 206 / 207
Auf den Spuren von Richard Wagner in Bayreuth
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