Dienstag, 26. Februar 2013

1845 Abschied von der Provence




Der Winter war vergangen und sie wusste nicht, ob sie sich über den strahlenden Frühlingsmorgen freuen sollte. Abschied lag in der Luft. Malwidas letzter Sonntag in dieser unvergleichlichen Gegend. Allein der Blick aus dem Fenster würde ihr fehlen, wenn sie in vier Tagen das Paradies verlassen musste. Die Landschaft, so reich an Schönheit, so angenehm zum Leben.
Machte die üppige Natur in dem milden Klima das Leben leichter? Zauberte die Schönheit der Landschaft ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen? Sie dachte an die Fischersleute, deren zwei hübsche Töchter sie vor einigen Tagen gemalt hatte und die sich gestern mit einem Korb herrlicher Früchte und Blumen bedankt hatten. Sie wohnten beengt, doch lachten sie viel und von den Früchten des Baumes vor ihrem Häuschen konnten sie noch anderen etwas abgeben. Eigentlich waren sie arm, doch es war eine andere Armut, als die der Menschen in der nordischen Heimat, die sich an bitterkalten Wintertagen eng zusammendrängten und um das tägliche Brot bangen mussten.
Malwida von Meysenbug schaute über den Orangenhain hinweg bis hinunter zum Meer. Auch sie fühlte sich reicher hier, bewegte sich freier, machte Dinge, die ihr in Detmold unmöglich schienen. Unsichtbare Lasten waren von ihren Schultern gefallen in den vergangenen Monaten. Das spürte sie beim Zusammenleben mit ihrer Schwägerin und deren Bediensteten, auf langen Wanderungen in die Umgebung, bei Gesprächen mit gut gelaunten Menschen auf Straßen und Plätzen und in den Salons und Gärten, wo sie in kleinen Kreisen ihr Miteinander mit einer erstaunlichen Leichtigkeit pflegten.
Diese neue Heiterkeit wollte sie nicht wieder hergeben, nicht in die Schwermut mancher Tage zurückkehren. Wie könnte sie dieses gewonnene Lebensgefühl mitnehmen, wenn die Kutsche unter der Palme vor dem Portal des Hauses Arnaud stehen würde, um die siebenköpfige Reisegruppe mit Sack und Pack für die Rückfahrt aufzunehmen?
Se beobachtete Herrn Ludwig mit den Kindern den Weg hinunter zum Meer gehen. Auch die beiden Jungen hatten sich verändert während der vergangenen Monate. Vor allem der lebhafte Wilhelm war ruhiger geworden. Daheim in Frankfurt würden sie ihrem Vater und ihrer Schwester Mathilde eine Menge zu erzählen haben.





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