Der Winter war vergangen und sie wusste
nicht, ob sie sich über den strahlenden Frühlingsmorgen freuen sollte. Abschied
lag in der Luft. Malwidas letzter Sonntag in dieser unvergleichlichen Gegend.
Allein der Blick aus dem Fenster würde ihr fehlen, wenn sie in vier Tagen das
Paradies verlassen musste. Die Landschaft, so reich an Schönheit, so angenehm
zum Leben.
Machte die üppige Natur in dem milden Klima
das Leben leichter? Zauberte die Schönheit der Landschaft ein Lächeln auf die
Gesichter der Menschen? Sie dachte an die Fischersleute, deren zwei hübsche
Töchter sie vor einigen Tagen gemalt hatte und die sich gestern mit einem Korb
herrlicher Früchte und Blumen bedankt hatten. Sie wohnten beengt, doch lachten
sie viel und von den Früchten des Baumes vor ihrem Häuschen konnten sie noch
anderen etwas abgeben. Eigentlich waren sie arm, doch es war eine andere Armut,
als die der Menschen in der nordischen Heimat, die sich an bitterkalten
Wintertagen eng zusammendrängten und um das tägliche Brot bangen mussten.
Malwida von Meysenbug schaute über den
Orangenhain hinweg bis hinunter zum Meer. Auch sie fühlte sich reicher hier,
bewegte sich freier, machte Dinge, die ihr in Detmold unmöglich schienen.
Unsichtbare Lasten waren von ihren Schultern gefallen in den vergangenen
Monaten. Das spürte sie beim Zusammenleben mit ihrer Schwägerin und deren
Bediensteten, auf langen Wanderungen in die Umgebung, bei Gesprächen mit gut
gelaunten Menschen auf Straßen und Plätzen und in den Salons und Gärten, wo sie
in kleinen Kreisen ihr Miteinander mit einer erstaunlichen Leichtigkeit
pflegten.
Diese neue Heiterkeit wollte sie nicht
wieder hergeben, nicht in die Schwermut mancher Tage zurückkehren. Wie könnte
sie dieses gewonnene Lebensgefühl mitnehmen, wenn die Kutsche unter der Palme
vor dem Portal des Hauses Arnaud stehen würde, um die siebenköpfige Reisegruppe
mit Sack und Pack für die Rückfahrt aufzunehmen?
Se beobachtete Herrn Ludwig mit den Kindern
den Weg hinunter zum Meer gehen. Auch die beiden Jungen hatten sich verändert
während der vergangenen Monate. Vor allem der lebhafte Wilhelm war ruhiger
geworden. Daheim in Frankfurt würden sie ihrem Vater und ihrer Schwester
Mathilde eine Menge zu erzählen haben.
Leseprobe aus: Renate Hupfeld, Malwida und der Demokrat