„Wie schön es hier wieder ist und so still,
als sei nichts geschehen“, sagte Pauline. „Kaum vorstellbar, dass hier noch vor
einer Woche ein Derwisch an der Pinie gezerrt hat, weißt du noch?“
„Sicher. Der Mistral gehört zu dieser
Gegend wie Felsen, Sand und Meer. Ich hatte auch Angst um den zierlichen Baum.
Deshalb habe ich ihn schnell gemalt.“
Sie holte ihr Skizzenbuch hervor und
blätterte darin, bis sie die Zeichnung gefunden hatte. „Hier siehst du das
stürmische Intermezzo. Gut, dass es Papier und Bleistift gibt.“ Sie blätterte
weiter. „Und das da bist du, Pauline. Wie dir der Sturm den Rock über den Kopf
fegt.“
Sie lachten.
„Und das bist du auch“, fuhr Malwida fort,
„am Bachufer sammelst du Pflanzen.“
„Für mein Herbarium. Da hast du mich
heimlich gemalt, du kleine liebe Freundin. Du, jetzt juckt es mich in den
Fingern. Lass uns auf Motivsuche gehen“, schlug Pauline vor.
„Einverstanden“
Sie wanderten hoch bis zum alten Gemäuer der
Burganlage von wo sie in der südlichen Richtung das Meer mit den Inseln sahen
und nach Osten hin endlos scheinende Bergketten.
Was hältst du von diesem Blickwinkel?“,
fragte Malwida und zeigte auf die weite Ebene mit einem von Zypressen und
Laubbäumen gesäumten Flusslauf, einer Kirche zwischen vereinzelten Häusern,
idyllisch eingebettet vor der Kulisse des Massivs.
„Ausgezeichnet“, bestätigte die Freundin.
Auf einer Mauer ließen sie sich nieder und
packten ihre Zeichensachen aus. Malwida hatte
eine Idee. Sie legte ihr Skizzenbuch der Freundin in den Schoß.
„Heute machen wir es einmal ganz anders. Du
zeichnest in mein Buch und ich in deines. Dann hat jede eine schöne Erinnerung
an diesen Tag und all die gemeinsamen Tage vorher.“
Den Vorschlag fand Pauline ausgezeichnet und so zauberte jede Strich für Strich mit spitzem Bleistift das unbeschreibliche Panorama in das Buch der anderen.
‚Erinnerung an gemeinsam verbrachte Stunden in Freiheit und Liebe’, schrieb Malwida unter das ihrer Weggefährtin gewidmete Bild.
Den Vorschlag fand Pauline ausgezeichnet und so zauberte jede Strich für Strich mit spitzem Bleistift das unbeschreibliche Panorama in das Buch der anderen.
‚Erinnerung an gemeinsam verbrachte Stunden in Freiheit und Liebe’, schrieb Malwida unter das ihrer Weggefährtin gewidmete Bild.
Auch Pauline schrieb eine Widmung unter ihr
Werk:
‚Dort erhebt sich niemals Lärm….
Seinen Traum kann man träumen,
bis er endet
und ihn dann von vorne beginnen,
4. Mai 1845, P.’
Jede sah sich noch einmal die gesamte
Bildersammlung der anderen an und ließ die provençalische Winterreise an sich
vorbeiziehen. Dann tauschten sie die Bücher zurück und blieben schweigend
nebeneinander sitzen, bis die Sonne sich schon zur Felsspitze hinuntersenkte.
„Kann eine Landschaft schöner sein? Berge,
Täler und herrliche Gärten bis zum Meer. Ich kann mich gar nicht satt sehen“,
begann Malwida.
„Die Sonne geht im Meer auf und in den
Bergen unter. Das fällt mir jetzt erst auf. Traumhaft schön ist es hier oben,
ich könnte ewig so sitzen bleiben“, schwärmte auch die Jüngere.
„Das Zusammenspiel von Formen, Farben und
Licht, gerade zu dieser Stunde der tief stehenden Sonne. Genauso wie mein
Lehrer es beschrieb“, erinnerte sich Malwida. „Jetzt erst verstehe ich, was
Carl Morgenstern damit gemeint hat, das Schweben in der einzigartigen
Landschaft, als wären wir selbst ein Teil davon. Wäre er doch jetzt hier! “
„Schweben in der Landschaft. Das hört sich
gut an. Er muss ein faszinierender Lehrer sein. Du hast eine Menge von ihm
gelernt.“
„Stimmt. Einige seiner Gemälde haben mich
so gefesselt, dass ich sie unter seiner Anleitung nachgemalt habe. Terraccina
zum Beispiel, mein Lieblingsbild von ihm.“
„War Carl Morgenstern auch hier in
Südfrankreich zum Malen?“
„In Italien war er, aber die Landschaften
auf seinen Bildern sind dieser hier sehr ähnlich. Felsen, Meer und Weite,
Kompositionen in Orange- und Violetttönen, wie es sie in unseren nördlichen Gegenden
gar nicht gibt.“
„War er nur dein Lehrer oder hat er dir
mehr bedeutet?“
„In Frankfurt hatte ich einen Winter lang
Unterricht bei ihm. Im vergangenen Jahr war das. Die Stunden hatte ich meinem
Vater abgetrotzt. Von den Ölfarben habe ich ihm nichts erzählt. Für die habe
ich eine goldene Kette und noch anderen Schmuck verkauft.“
„So etwas macht man doch nur, wenn man sich
etwas ganz stark wünscht. Warst du in Carl Morgenstern verliebt?“
„In der Familie wurde gemunkelt. Du kennst
das vielleicht, Pauline. Die Verbindung zu einem Maler hätte man nicht gern
gesehen. Brotlose Kunst nannte man seine Arbeit.“
„Ja, ja, das kenne ich. Doch erzähl
weiter.“
Leseprobe aus: Malwida und der Demokrat